„Was drauf steht, muss auch drin sein“
Oder: Die beeindruckende Fähigkeit des Staates meine Gedanken zu lesen
In meinem letzten Blog-Posting hatte ich von dem Jungen berichtet, der aufgrund der Sweatshirt-Aufschrift „A.C.A.B.“ („All Cops are Bastards“) von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde. Bei mir und sicher noch bei manch anderem hat das ungläubiges Kopfschütteln ausgelöst. Dann habe ich aber folgenden Kommentar auf meinen Eintrag gelesen: „Jenseits aller Sympathie für den Jugendlichen - aber schon vor über 12, 13 Jahren haben wir massig Stress für das Tragen von A.C.A.B. bekommen. […]Das kann und muss jeder wissen, der ein A.C.A.B.-Shirt trägt“. Das hat mich Naivling nachdenklich gemacht und mich veranlasst noch einmal nachzutreten.
In der Begründung zum Verbot solcher Aufschriften heißt es, dass sie eine öffentliche Provokation und eine Beleidigung seien und dass man davon ausgehe, dass derjenige, der solch eine Aufschrift trägt auch gewalttätig werden wird.
Staatsanwaltschaft und Beamte erdreisten sich also aufgrund meines T-Shirts meine Gesinnung und meine Handlungen vorhersagen zu können? Wenn ich also ein Shirt mit dem Kopf von Che Guevara trage, habe ich vor eine kommunistische Revolution anzuzetteln? Und wenn ich eine Friedenstaube auf der Brust trage, besteht wohl eher keine Gefahr, dass ich Amok laufe und wahllos Menschen abknalle? Dazu müsste ich ja schließlich ein Counterstrike-Shirt tragen!
„A.C.A.B“ eine Beleidingung? Kann man verstehen, denn laut ADAC ist es ja schon eine Beleidigung, wenn man einen Polizisten bei der Verkehrskontrolle duzt! Kann ich jemanden wegen Beleidigung anzeigen, wenn er mich duzt? Nein? Stimmt, einige Menschengruppen sind nun mal gleicher als andere. Hypothetische Frage: Kann ich mit der Aufschrift rumlaufen „80 Prozent aller Polizisten sind Bastarde“ und wer sich zu den 80 Prozent rechnet ist selber schuld?
Es ist erschreckend, dass heute in Deutschland immer noch Gesetze erlassen werden können, die sich in derselben Art auf zweifelhafte und fragwürdige Argumentationen stützen, wie es zum Beispiel Hitlers Rassengesetze taten (Oh Gott, oh Gott, ein Hitler-Vergleich). Wenn deutsche Politiker die Nase über Menschenrechtsverletzungen in China rümpfen, dann sollten sie lieber mal die Nase in die eigene Gartenerde stecken. Vielleicht würden sie dann merken, dass auch hierzulande noch genug bürger- und verfassungsfeindliche Verordnungen getroffen werden. Aber was ist schon verfassungsfeindlich? Wenn das Innenministerium die demokratisch gewählte Partei „Die LINKE“ problemlos überwachen lassen kann, dann wird klar, dass die Einschätzung, was verfassungsfeindlich ist, nicht von unserem Grundgesetz vorgegeben wird, sondern von dem, der gerade an der Macht ist.
Von einer aufgeklärten Gesellschaft im Sinne Kants haben wir uns in manchen Punkten weit entfernt und sind wieder da angekommen, wo sich viele Deutschen heimlich zurück sehnen: im Mittelalter. Denn wo ist der gravierende Unterschied, ob mir ein Gericht vorschreibt welches T-Shirt ich tragen darf oder ein Feudalherr darüber entscheidet ob und wen ich heirate?
Man muss sich fragen, ob Justitia ihre Augenbinde wirklich trägt um nicht ungerecht zu entscheiden oder um die ganze Ungerechtigkeit, die in ihrem Namen geschieht, nicht mit ansehen zu müssen?
Aber lassen wir den Abend heiter ausklingen und machen als erfindungsreiche Menschen aus der Not eine Tugend. Wenn der Staat vorsieht, dass das was auf dem Shirt draufsteht auch im Shirt drin stecken muss, dann bastle ich mir doch gleich morgen ein paar nette Aufschriften. Wie wärs zum Beispiel mit „Ich habe unermesslich viel für die Bundesrepublik Deutschland getan“. Bald müsste ein Anruf von Horst Köhler kommen, der mir das Bundesverdienstkreuz an die Brust nagelt. Oder noch besser: „Ich habe das beste und ausdrucksstärkste Buch der Welt geschrieben!“ Literaturnobelpreis, wo bist du? „Ich will die Menschen miteinander versöhnen und der Welt Frieden bringen!“ Friedensnobelpreis? Ach ne, die Idee hatte schon Obama. Schade.
„Was drauf steht, muss auch drin sein.“ Das wird mein neues Motto. Darum schreibe ich jetzt auf meinen Aldi-Traubensaft „Château Mouton-Rothschild 1945“, pinne auf meinen Fernseher das Schild „Roland Emmerichs ‚2012‘“ und mach mir eine schöne Zeit!